Ich hatte eigentlich immer irgendwo in meinem Körper und in meiner Seele Schmerzen.
Da dachte ich auch gar nicht weiter drüber nach. Es war für mich schon so lange ich denken konnte der Normalzustand.
Vieles war in meiner frühesten Kindheit entstanden, weil ich aufgrund der großen Inkompatibilität meiner Eltern bereits früh starke Spannungen aushalten musste. Ihre frühe Scheidung und die daraus resultierenden diversen Patchwork-Konstellationen mit meinen unterschiedlichen Rollen im Familiensystem belasteten mich und mein System. Als Erstgeborene zwischen vielen verschiedenen Fronten mit Eltern und Stiefeltern, die ihre eigenen Kindheitstraumata als Kinder von Eltern der Kriegsgeneration zu tragen hatten, trug ich immer schwer an meinem Leben und dem, was andere mir aufluden. Alle gaben irgendwie ihr Bestmögliches, aber die seelischen Wunden, die entstehen, wenn man mit Erwachsenen aufwächst, die zwar ihre Kinder lieben, aber nicht sich selbst, sind nicht zu unterschätzen - und das Problem meiner ganzen Generation!
Wie sollte ICH es daher schaffen, mit Selbstliebe, einem soliden Selbstwert und tiefen Vertrauen meinem Herzen und meiner Seele zu folgen, wenn ich es von niemandem lernen konnte. Und alle, von denen ich es hätte lernen können, fürchteten sich davor, sich selbst bis in ihre hintersten Ecken anzuschauen und zu akzeptieren.
Ich lernte deswegen schon früh, dass das Leben ein Kampf war und ich kämpfte an vielen verschiedenen Fronten.
Selbst da, wo es besser gewesen wäre, einfach zu gehen.
Ich kämpfte, weil ich das gut kannte und gut konnte.
Egal, was kam. Egal, wie extrem der Tiefpunkt. Egal, wie wenig Energie ich noch hatte - ich kämpfte mich aus allem heraus!
Meine Beziehungen blieben sehr oberflächlich, in der Tiefe hätte ich viel zu große Angst bekommen.
Immer und immer wieder erlebte ich Enttäuschungen, fühlte mich abgelehnt und ungeliebt.
Irgendwann konnte ich das Gewicht, das mich runterzog, gar nicht mehr tragen.
Mein unglaublich stressiger Job als Lehrerin an einem Gymnasium mit zwei Korrekturfächern, der auch ohne schweres Zusatzgepäck mehr als grenzwertig in Bezug auf die Belastung ist, tat sein Übriges, um mich in die Knie zu zwingen.
Wegen meiner großen Schmerzen ging ich irgendwann zu einem Orthopäden. Der sagte zu mir: "Für Ihre Beschwerden haben Sie viel zu wenig Schmerzen!" Doch ich konnte weder mich noch meinen Körper richtig spüren, denn tut man es, kann man nicht mehr "funktionieren".
Ich begann eine Therapie und mit steigendem Bewusstsein für mich selbst wurden auch die Schmerzen immer spürbarer - und schlimmer. Und ich hatte immer weniger Lust auf bloßes Funktionieren.
So begann ich Schritt für Schritt, mich selbst zurückzuerobern. Mich zu spüren, endlich inne zu halten, meinen Weg zu überdenken.
Ich bin jetzt 43 Jahre alt und habe in den letzten knapp 10 Jahren mein Leben um 180 Grad gedreht.
Ich habe mich aus alten Strukturen, Mustern und Umgebungen befreit sowie Orte, Menschen und Gefühle hinter mir gelassen, die mich lange Zeit belasteten oder meine Energie saugten.
Mit 34 habe ich angefangen, mich selber gründlich zu beleuchten.
Mit 35 beendete ich eine destruktive Beziehung.
Mit 36 verabschiedete ich mich von meinem intensiven Kinderwunsch, damit mein Leben nicht davon gesteuert wird. Das war schmerzhaft, aber heilsam, denn nun schaue ich ohne Druck, was kommt, bin zufrieden und kümmere mich hingebungsvoll um meine geistigen Kinder (=meine Ideen).
Mit 37 wechselte ich den Wohnort, zog von einem Haus in eine wesentlich kleinere Wohnung und trennte mich von sehr vielen Möbeln, Erinnerungen und Dingen.
Ich beendete Freundschaften, die mir nicht gut taten.
Wenn ich meiner kleinen Annika von damals erzählt hätte "Ich bin Lehrerin geworden!", würde sie erstaunt fragen: "Warum?!" Meine Teenager-Annika wäre einfach nur vollkommen entsetzt. Auch deshalb beschloss ich mit 39 beschloss, meinen belastenden Job und die sichere Beamtung zu kündigen, legte meine verschütteten Wünsche frei. Parallel sortierte ich in Intensivarbeit mein gesamtes Familiensystem, um rollenfrei in eine neue Zukunft zu starten.
Mit 40 war ich das erste Mal arbeitslos, folgte aber weiter kompromisslos meinem Traum, als Autorin zu arbeiten.
Mit 41 wurde mir meine Wohnung gekündigt, ich verkaufte und verschenkte erneut Dinge und zog zu einer Freundin in ein Kellerzimmer.
Mittlerweile arbeite ich mit einer renommierten Literaturagentin, um mein erstes Buch über meinen Schulausstieg zu veröffentlichen, war bereits in der Zeitung, im Radio und im Fernsehen.
Ich lebe heute ein Leben, dass selbst die kleinsten Kind-Anteile in mir mit Stolz und Liebe erfüllt.
Endlich bin ich die Person, die ich immer sein wollte und als Kind dringend gebraucht hätte.