WARUM UNSER SCHULSYSTEM IN DER WURZEL KRANK IST


Nach über vierzehn Jahren Schuldienst stieg ich 2020 aus dem Lehrberuf aus. Im Laufe dieses Ausstiegsprozesses sind mir leider erschreckend viele Strukturprobleme im Schulsystem aufgefallen ...



Picture by Rubén Rodriguez on Unsplash.com
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Um auf die Probleme im deutschen Schuldsystem einzugehen, muss ich ein bisschen ausholen. Denn mal abgesehen von diesem vollkommen veralteten Bildungskonstrukt gibt es so einige Dinge in unserer Gesellschaft, mit denen haben wir uns noch nie kritisch genug auseinandergesetzt haben. Die waren halt immer da und wir wussten nicht, dass es auch noch etwas anderes außerhalb dieser Möglichkeiten gibt: Mädchen haben am liebsten lange Haare. Jungs spielen mit Autos. Weibliche Tiere in Comics haben lange Wimpern. Nagellack ist nichts für Jungs. Und Jungs mögen einfach blau. Und Mädchen lila und pink. Um glücklich zu sein, muss man ein Haus kaufen, heiraten und Kinder bekommen. Wenn ich einen Vertrag unterschreibe, kann ich nichts mehr dran ändern. Wenn ich heirate, muss ich das durchziehen bis zum Ende. Frauen verlieben sich in Männer und Männer in Frauen. Dunkelhäutige Menschen sind nicht Deutsch. Naja, zumindest nicht „so richtig“. 

Und auf einmal gibt es immer mehr Leute, die das anzweifeln oder uns gar etwas ganz anderes vorleben. Krass! 


1. HEUTE SCHON GEGENDERT?

Guck dir zum Beispiel die „Gender Debatte“ an - ein sensibles Thema, das inzwischen bei einigen Zeitgenoss:innen augenblicklich Aggressionen oder Brechreiz auslöst. Der Ausdruck „Gender“ – das englische Wort für Geschlecht – ist plötzlich in aller Munde. Pun intended.

Es wird immer deutlicher, dass der generische Maskulin, also, dass man automatisch immer maskuline Formen benutzt (sowas wie Frisör, Arzt, Feuerwehrmann, Polizist, Schüler, Lehrer…), Ausdruck einer langen Entwicklung der ungleichen Geschlechterverhältnisse ist. Und dass nun – da Frauen sich auf der ganzen Welt immer mehr Raum und Gehör verschaffen – Rollenbilder und was bisher als „normal“ und „üblich“ angesehen wurde, kritisch hinterfragt und verändert werden.

 

Man schreibt nicht mehr „Liebe Kollegen!“, es heißt „Liebe Kolleginnen und Kollegen!“, „Liebe Kollegen und Kolleginnen!“, „Liebes Kollegium!“ oder „Liebe KuK!“

 

Wer an dieser Stelle sagt: „Boah, das finde ich SO unnötig und bescheuert!“, dem muss ich deutlich sagen: Dann hast du das Problem noch nicht richtig erkannt. Die Genderdebatte ist nämlich nur eins von vielen gesellschaftlichen Strukturproblemen.

 

Ich las kürzlich folgenden Spruch, der hier hervorragend passt: If you’re not angry, then you are not paying attention! 

 

Warum ich das alles erzähle? Weil es an der Zeit ist, feste Strukturen in unseren Köpfen aufzubrechen. Es gibt so viel mehr in unserer großen Welt, als wir uns bisher vor Augen geführt haben und das Umdenken bezüglich unserer Geschlechteridentität ist nur eine von vielen Baustellen.

Falls du es noch nicht tust, bitte ich dich: Fang ENDLICH an, bestehende Strukturen, deine Einstellungen und dein Verhalten dazu zu hinterfragen, sonst wird es mit notwendigen Veränderungen in der Gesellschaft sehr schwierig.

 

Daher solltest du zuallererst vor allem als Frau unbedingt Feministin werden. Und ich meine hier nicht, dass du aufhören sollst, deine Achselhaare zu rasieren und anfangen sollst, Männern Sprüche zu drücken.

Nein, werde eine Frau, die Frauen mag und stützt. Die alte Strukturen hinterfragt und sich ebenbürtig sieht mit Männern.

Die sich nicht versteckt und anerkennt, dass sie als Frau nun mal anders ist als ein Mann und auch andere Dinge gut oder besser kann, manche eben nicht. Dass es die Unterschiede im Geschlecht sind, die uns auch besonders machen und dass das auch genauso gut ist. So eine Art von Feministin meine ich. Auch Männer sollten dringend bekennender Feminist werden und die Augen vor den Ungleichheiten in unserer Gesellschaft nicht verschließen. Feminist:in-Sein bedeutet, Geschlechter als gleichberechtigt zu sehen – trotz aller Unterschiede. Und sich dafür einzusetzen, dass alle dieselben Möglichkeiten haben und nicht so zu tun, als wäre das alles übertrieben und unnötig.

So wie Sherlock-Darsteller Benedict Cumberbatch, der gleiche Gage für die weiblichen Hauptdarstellerinnen in seinen Filmen fordert. Yes, man!

 

Und hier sind wir schon bei der ersten Grätsche ins Bildungssystem, denn alle Lehrer:innen - und Eltern sowieso - sollten sich ihre riesige Vorbildfunktion für Jungen und Mädchen jederzeit bewusst machen und überlegen, was sie den jungen Menschen mit ihrem Verhalten und ihren Geschlechterrollen vorleben. Kinder lernen nun mal am Beispiel.

So wie mein 3-jährigen Neffe und meine 5-jährige Nichte. Heute strich meine Schwester seine Zimmerwand. Farbe? BLAU! Bevor ich „Hallo? Gender Marketing und Rollenklischée…?!“ zu Ende denken konnte, schob sie „Mit Glitzer!“ hinten dran. Die Wand ist übrigens knalltürkis. Mit Glitzer. 

 

Ich gehe jetzt jedenfalls bewusst zu meiner ÄrztIN, meiner FrisörIN und nicht mehr generisch „zum Arzt“ oder „zum Frisör“. Und es macht mich stolz, dass Frauen so präsent sind. ICH bin schließlich eine Frau und somit ein Vorbild für die jungen Mädchen und Frauen, die meinen Weg kreuzen. Es MACHT einen Unterschied, glaub mir einfach! Bitte bitte mach du auch mit!


2. RASSISMUSKRITISCH DENKEN = SYSTEMKRITISCH DENKEN

Picture by Liam Edwards on Unsplash.com
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Bei meinem Umdenkensprozess half mir vor allem Tupoka Ogettes Buch Exit Racism – rassismuskritisch denken lernen. Ogette, ihres Zeichens Antirassismus-Trainerin, bezeichnet sich selbst als „Expertin für Vielfalt“ und erklärt in ihrem Buch kleinschrittig, wie sich Rassismus entwickelt hat und wie tief verwurzelt er in uns allen ist – selbst, wenn wir denken, wir wären AUF GAR KEINEN FALL rassistisch! Viele Menschen WOLLEN sich selber auch gar nicht hinterfragen und ersticken gedankliche Entwicklungsmöglichkeiten mit einem fast schon entrüsteten „MICH betrifft das nicht!“ sofort im Keim. Du kannst sicher sein: Ist das deine erste Reaktion bei egal welchem Thema, solltest du vielleicht dringend ERST RECHT mal hinschauen.

 

Intelligente Menschen wissen, dass sie vieles nicht wissen und überall noch etwas lernen können. Alles andere wäre ignorant.

 

Ich ertappte mich selber an der ein oder anderen Stelle und war erschreckt, wie wenig kritisch ich gewissen Dingen bisher gegenüber gestanden hatte. Es war also höchste Zeit, mein Bewusstsein gegenüber meiner Haltung zu Ausländer:innen oder Menschen, die ich bewusst und unbewusst als solche einstufte, zu überprüfen!

 

Meine Schule hatte eine recht gemischte Schülerschaft und ich unterrichtete viele Kinder mit Migrationshintergrund. Ich war eigentlich immer davon ausgegangen, dass ich meeeega offen wäre und nicht rassistisch denken würde. Ogettes Buch belehrte mich trotzdem eines Besseren. Bei vielen Verhaltensweisen, dich ich an den Tag legte, wäre ich einfach gar nicht auf die Idee gekommen, dass sie falsch sein könnten. Auch ich fragte Menschen, die offensichtlich „nicht Deutsch“ waren, gerne, wo sie eigentlich her kamen oder dachte manchmal eklatant in Schubladen, zum Beispiel in Bezug auf Religionen oder das Tragen von Kopftüchern.

 

Ich hatte mir vorher nämlich nie Gedanken über all die Vorteile gemacht, die ich wegen meiner Hautfarbe habe, weil dann Dinge, die eben einfach leicht sind, ja nie auffallen oder kritisch hinterfragt werden. Manche Dinge sind für "uns" so selbstverständlich, dass wir sie nicht hinterfragen.

 

Das Thema Diskriminierung ist extrem facettenreich, geht tief und zeigt gleichzeitig unser mangelndes Problembewusstsein für bestehende Zustände. Was für dich selber total selbstverständlich sind, wird dir nicht als Privileg auffallen. Genauso wenig habe ich jemals bemerkt, dass ich mich nie zu einer Minderheit gehörig fühlen musste. Oder dass überall in meiner Lebenswirklichkeit „Menschen wie ich“ repräsentiert sind.

Das ist doch normal, oder?

NEIN, für viele Menschen ist es das nicht! Sie sind unterrepräsentiert und werden eben nicht „normal“ und freundlich behandelt.

Immerhin kann man in Schulbüchern inzwischen mehr Diversität beobachten. So gibt es schon länger farbige Charaktere, getrennte Eltern oder homosexuelle Lebenspartnerschaften. Ich freue mich jedenfalls schon auf die erste Transgender-Figur!

 

Ogette beschreibt deutlich, wie tief Rassismus und ein entsprechendes Denken in unseren Strukturen verwurzelt ist und wie schwer es ist, diese Art, Menschen und die Attribute, die ihnen zugeordnet werden, zu durchbrechen. Man muss ja bloß momentan in die USA schauen, um zu erkennen, wie massiv das Überlegenheitsdenken der Weißen in der gesamten Gesellschaft verankert ist – und mit welchen Problemen es verbunden ist, ein neues Bewusstsein zu schaffen um Ungerechtigkeiten zu verhindern. Die Problematik zwischen Schwarzen und Weißen geht zum Beispiel auf Zeiten des Sklavenhandels zurück.

 

Mittlerweile bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob Deutschland wirklich weiter entwickelt ist als die USA. Immer wieder zeigt sich erschreckend deutlich, wie zögerlich kulturelle oder sexuelle Vielfältigkeit angenommen wird. Es ist überdies erschreckend, wie viel wir NICHT über die deutsche Geschichte in Hinblick auf Sklavenhandel oder Kriege im Laufe der Kolonialzeiten in Afrika erfahren. Wir lernen über den Zweiten Weltkrieg, aber andere historische Vorkommnisse, die viele Menschenleben forderten, bleiben im Geschichtsunterricht unerwähnt. Oder hast du schon mal was von der Vernichtung des Herero Volkes in Deutsch-Südwestafrika Anfang des 20. Jahrhunderts durch den preußischen General Lothar von Trotha gehört? Das waren immerhin an die 60.000 Menschen!

 

So oder so wird an keiner Stelle in irgendeiner Form Heilung all dieser gesellschaftlichen Traumata gewährleistet und das Volk dümpelt weiter in alter Scheiße. Und in manchen Bereichen Deutschlands bekommt die alte braune Scheiße sogar ganz viele Wählerstimmen!


Foto von Eilis Garvey auf Unsplash
Foto von Eilis Garvey auf Unsplash

Wenn du dir anschaust, was in den Vereinigten Staaten abgeht, wirst du feststellen, dass viele Schwierigkeiten entstehen, weil viele falsch handelnde Menschen an wichtigen „Machtpositionen“ sitzen. Vier Jahre lang war ein Rassist, Betrüger und homophober Frauenfeind Präsident und die Chancen stehen gut, dass Donald Trump, eventuell sogar trotz Gefängnisstrafe, erneut gewählt wird. Ein Großteil der Polizisten, die das Volk schützen, schert die Bevölkerung NICHT über einen Kamm, sondern macht immer wieder bewusste Unterschiede zwischen arm/reich und vor allem schwarz/weiß.

Aber es ist schwer, etwas zu verändern, wenn ein Problem so tief im System verwurzelt ist. Das passende Mindset erstreckt sich viele Bereiche des gesellschaftlichen Lebens und wird durch eine schon in Schulen antrainierte Ellenbogenmentalität untermauert. Man muss sich nur amerikanische Komödien und Serien anschauen: Es scheint eine unveränderbare Wahrheit, dass der Kapitän der Footballmannschaft King der Schule und die Anführerin der Cheerleaderin das beliebteste Mädchen ist. Meine amerikanische Stiefmutter, Professorin an einer dotierten Universität in Michigan, erzählte, dass die Studenten, die hochrangig für die Baseball- und Footballmannschaften der Uni und somit den Super Bowl spielen, oft ohne entsprechende Leistungen gute Noten bekommen beziehungsweise bekommen müssenUnd wie bei allem gilt: Diejenigen, die von einem System profitieren, lassen sich ihre Privilegien ganz sicher nicht nehmen!

Inzwischen werden Proteste in Form der BLACK LIVES MATTER Bewegung glücklicherweise immer lauter und es gibt viele, die diese unterstützen. Aber auch noch genügend Menschen, die ihr fassungslos gegenüber stehen, Abtreibungen, Homo- und Transsexualität oder Gesundheitspräventionen ablehnen! Das Schlimmste daran ist: Das alles ist schon sehr sehr lange DA, passierte schon lange vorher, wurde aber nicht publik gemacht oder ausreichend ernstgenommen!

 


3. WAS HAT DAS MIT UNSEREM SCHULSYSTEM ZU TUN?

Picture by Priscilla Du Preez on Unsplash.com
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Nun schau dir unser Schulsystem an: Alte Strukturen werden kaum hinterfragt, alle IM System schaffen es kaum, sich zu wehren und werden nicht gehört. Selbst in Ausnahmezeiten mit einer Pandemie und vollkommen außer Kraft gesetzten Regeln wird verzweifelt an den alten, auch vorher nicht funktionierenden Strukturen und Vorgaben festgehalten.

Leider sitzen an den Gelenkstellen für wichtige Entscheidungen und Veränderung Menschen, die das System selbst nicht ganz verstehen, deswegen auch nicht unzufrieden sind und allein aus mangelndem WISSEN nichts ändern KÖNNEN. Viele Entscheidungsträger:innen sind leider schlicht und ergreifend völlig inkompetent, egozentrisch und/oder karrieregeil. Wieso sollten DIE etwas verändern wollen? Die sorgen sich nur um ihren eigenen Arsch.

Aber LEHRERGESUNDHEIT MATTERS, TOO! Falls dir übrigens gerade aufgefallen ist, dass ich hier nicht gegendert habe: Applaus! Du bist sensibilisiert!

 

Zahlen über Aussteiger:innen und Frühverrentungen wurden bis 2023 praktischerweise nicht geführt, verliefen sich mit Pensionierungen und Bundeslandwechsler:innen. Obwohl inzwischen zumindest für das Land NRW konkrete Zahlen veröffentlich wurden, spricht die Politik immer noch von "tragischen Einzelfällen".

Viele Menschen IM System werden immer unzufriedener, Referendar:innen quittieren ihre Ausbildungen, Lehrer:innen trauen sich immer lauter über Ungerechtigkeiten  zu sprechen.

 

Trotzdem haben viele nach wie vor kein Bewusstsein entwickelt, DASS das System

1.) LAUT und KRITISCH hinterfragt werden kann,

2.) schon lange nicht mehr funktioniert,

3.) VERLASSEN werden kann.

 

Als ich aus dem Schuldienst ausstieg, fühlte ich mich mutterseelenallein. Heut weiß ich: Auch ICH war KEIN Einzelfall, aber es fühlte sich so an. Es existierte kein Netzwerk und kaum Jemand im Außen konnte meine Entscheidung verstehen. Denn bis heute verzweifeln zwar viele Lehrer:innen an den Belastungen, solidarisieren sich aber nicht oder kämpfen GEMEINSAM "gegen das System". Eher zeigt man mit moralischem Zeigefinger auf die, die nicht genug leisten oder nicht mehr können.

Auch die Unterstützung und laute Stimmen von Schüler:innen und Eltern fehlen bislang.

 

Leider haben Deutsche von Natur aus eine ausgeprägte Autoritätshörigkeit kombiniert mit einer mangelnden Bereitschaft zur Veränderung. Und Lehrer:innen haben das "vorauseilende Gehorsam" internalisiert, mit dem selbst die schwachsinnigsten Anweisungen "von oben" ohne Hinterfragen umgesetzt werden.

 

Mein Finanzberater sagte mal: „Die Deutschen haben zu viel Angst. Die sind kein Gründervolk!“ Der Begriff „German angst“ (sprich ÄÄÄÄngsd) ist übrigens ein feststehender Begriff in der englischen Sprache. Laut Wikipedia bedeutet er im Detail: charakteristisch empfundene, gesellschaftliche und politische, kollektive Verhaltensweisen der Deutschen. Sabine Bode, deutsche Journalistin und Autorin, sieht ihren Ursprung im Zweiten Weltkrieg und erklärt in ihrem gleichnamigen Buch detailliert die "German Angst" und die generellen Ängste der Deutschen, die man an allen Ecken in der Gesellschaft finden kann.

Ist DAS nicht erschreckend?

 

Angst radikale Entscheidungen sieht man auch in der deutschen Schulpolitik. Bezüglich Neuerungen im Schulsystem ist man zwar seeeehr kreativ, doch für die Arbeitsbedingungen von Lehrer:innen irgendwie niemand verantwortlich. Darf halt alles nichts kosten.

Bildung in Deutschland hat keine Priorität, solange PISA Zahlen okay sind. Angeblich kann man keine Gelder investieren, in Corona Zeiten aber plötzlich dafür sorgen, dass alle Kolleg:innen mit I-Pads ausgestattet werden.


4. HORRORSZENARIEN

„What is a dystopia?“ ist übrigens eine beliebte Frage in mündlichen Abi-Prüfungen in Englisch. In Dystopien wird in der Regel eine akute Problematik unserer heutigen Gesellschaft aufgegriffen und eine gruselige Zukunftsversion gestaltet. Dystopische Klassiker sind George Orwells 1984 oder etwas aktueller Die Tribute von Panem. Und viele der dargestellten Welten lassen einem das Blut in den Adern gefrieren, weil du denkst: „Scheiße, da sind wir nicht mehr weit von entfernt!“

 

In Dystopien herrscht meist ein bewusster oder auch unbewusster Zustand der Unterdrückung durch ein totalitäres Regime. Manchmal sind sich die Menschen der Unterdrückung bewusst. Schau dir zum Beispiel Katniss in Panem an. Die Menschen der verschiedenen Distrikte spüren die Unterdrückung durch das Kapitol auf unterschiedlichste Art und Weise. Die Menschen in der Hauptstadt hingegen leben unbekümmert in Saus und Braus.

 

In Aldous Huxleys Brave New World werden die Menschen in einer augenscheinlichen Welt voller „Stabilität, Frieden und Freiheit“ den ganzen Tag mit Drogen und vollkommener Bedürfnisbefriedigung glückselig – und ruhig gestellt. Alle Menschen werden in Reagenzgläsern mit entsprechender Sauerstoffzufuhr auf bestimmte „Kasten“ geprägt, alle haben festgelegte Rollen im System. Erst ein „Wilder“, der von außen in diese Welt eintritt, hat kritische Gedanken.

 

Black Mirror ist eine Netflix Serie, die aus einzelnen, dystopischen Geschichten besteht. Es gibt die gruselige Folge Das Leben als Spiel („A million merits“): Alle Menschen strampeln den ganzen Tag auf einem Laufrad und verdienen damit ihren Lebensunterhalt in Form von Guthaben. Sie werden dabei mit schwachsinnigen Sendungen zugeballert, alle tragen dieselben Sportanzüge; Tageslicht oder Natur gibt es nicht. Wer auf dem Ergometer nicht mithalten kann, wird zur Putzkraft degradiert. Es geht um Oberflächlichkeit, bizarre Schönheitsideale und dass es für keine Ausbruchsmöglichkeiten aus dieser Konformität gibt.

Das ist wie wenn man den Staatseid unterzeichnet und dann nicht mehr demonstrieren darf. Und Angst vor Einträgen in die Akte bekommt, wenn man demonstrieren geht oder für sich klare Rechte einfordert. Mit einem ansehnlichen Gehalt wird man ruhig gestellt, mit „Sicherheit und Fürsorge“ braingewasht. Und weil unser Hirn vor lauter Funktionswahn nicht genug Sauerstoff bekommt, merken wir gar nicht, was eigentlich passiert. Naja, oder wir merken es, haben aber einfach verdammt nochmal KEINE ZEIT, etwas zu hinterfragen oder zu ändern. Auswege aus dem System werden nicht thematisiert. Sie existieren offiziell einfach nicht. 

 

Und schau dir an, was unser System mittlerweile für Menschen hervorbringt: Solche, die ihre E-Roller rücksichtslos genau da abstellen, wo sie nicht mehr gebraucht werden – egal, wer deswegen als nächstes auf die Fresse fliegt. Die denken, mit 18 müsste man sich Filler in die Lippen spritzen, weil das die Kardashians auch machen. Die glauben, ohne Instagram Filter und ganz bestimmte Klamottenmarken wären sie nicht schön. Die frauen- und menschenabwertenden Gangsterrap hören.

 

WARUM zur Hölle lernen unsere Kinder nicht als fest verankerten Teil des Curriculums über einen gesunden Selbstwert in der Schule? Ach ja – dann würde man ja wieder selbstständig denken und das kann fatale Folgen haben. Wenn man den eigenen Wert erkennt, lässt man sich nicht mehr so gut lenken. Stimmt, das geht ja nicht. Sorry, mein Fehler!


Picture by Cristian Newman on Unsplash.com
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5. FÜR EIN FEUER REICHT EIN FUNKE!

Wir stecken in einem Schulsystem, das von Anbeginn dafür sorgt, alle „ruhigzustellen“. Schon früh bringt man jungen Menschen bei, sich anzupassen und zu funktionieren. Spätestens ab der Grundschule gibt es genug Lehrer:innen, die es gar nicht mögen, wenn Kinder zu frech nachfragen. Professor:innen an der Uni werden auch nicht gerne hinterfragt – und vom Referendariat sprechen wir besser erst gar nicht. Im Schuldienst bringen niemals endende Formalien und Paragraphenkritische Fragen zum Schweigen. 

 

Die Schwierigkeiten im gesamten Bildungssystem liegen wie die der Gender Debatte oder der Rassismus Problematik tief in den Wurzeln und müssten auch genau DA aufgelöst werden.

Man kann Dinge nur verändern, wenn man sich eingesteht: Mist, so klappt das nicht!

Das geht aber nur, wenn ein deutliches Bewusstsein dafür geschaffen wird, dass es ernstzunehmende Schwierigkeiten GIBT und man es NICHT den Verantwortlichen überlassen kann, für Veränderung zu sorgen!

Das Bildungsministerium ist das Kapitol und die Schulen und Schüler leben in den Distrikten.

 

Aber manchmal reicht ein kleiner Funke für ein Feuer!

Und ich wiederhole nochmal: IF YOU’RE NOT ANGRY, YOU ARE NOT PAYING ATTENTION!

 

Bitte werd' ENDLICH WÜTEND!

Picture by Kristopher Roller on Unsplash.com
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Kommentare: 0
Kommentare: 2
  • #2

    p6majo (Freitag, 10 Januar 2020 20:46)

    Hallo Annika,

    ich lese Deine Soulkanguruh-Sprünge sehr gern. Oft dreht es sich ja um das Thema Liebe. Deshalb würde ich an dieser Stelle gern eine provokante These in den Raum stellen. Ich bin kein Philosoph und habe auch keinen fundierten Hintergrund für meine These. Es sind einfach nur Gedanken und Du kannst den Kommentar jederzeit wieder entfernen (hoffe ich).

    Was ist Liebe?
    Kurz: Es gibt zwei Säulen der Liebe, alles darüber hinaus ist eine gesellschaftliche, moralische und romantische Überhöhung bzw. Glorifizierung.

    1. Säule: Die sexuelle Anziehung zwischen zwei Menschen, getriggert durch Schemata, biochemische Botenstoffe und eventuell Verhaltensmuster, die es uns ermöglichen sollen, einen möglichst geeigneten Paarungspartner zu finden.
    2. Säule: "kin selection" --- kurz: das durch Evolution selektierte Verhaltensmuster, sich um Kinder und nahe Verwandte bis hin zu Selbstaufgabe zu kümmern und zu sorgen.

    Beide Säulen sind bei den meisten Tierarten auf der Welt zu finden und meiner Meinung nach die Essenz von all dem, was wir als Liebe bezeichnen. Alles andere ist der Versuch, uns Menschen zu etwas Besonderem zu machen (was wir meiner Meinung nach aber nicht sind), oder aber ein moralischer Überbau oder netter formuliert, allgemein akzeptierte Wertvorstellungen, um unser Handeln in gesellschaftlich-konforme Bahnen zu lenken. Allerdings sind diese Wertvorstellungen nicht immer mit den Säulen 1. und 2. vereinbar, was die Ursache für das meiste "Liebesleid" auf dieser Welt sein könnte.

  • #1

    Teale (Sonntag, 22 September 2019 02:53)

    You're a legend Annika. Love your words and the pictures used.