PÄDAGOGISCHES NETFLIX PFLICHTPROGRAMM


Picture by Melissa Askew on Unsplash.com
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I'M JUST A TEENAGE DIRTBAG?

 

Ich finde, dass es für jede:n gute:n Pädagog:in, die/der mit Teenagern zu tun hat, ein NETFLIX Pflichtprogramm geben sollte.

Es scheint eine Nebenwirkung des Erwachsenenalters zu sein, dass man schnell vergisst, wie es war und ist, ein Kind oder Heranwachsende:r zu sein. Vielleicht muss man diese Zeit für sich auch verdrängen, denn Teenager-Sein bedeutet: wirre und ständig wechselnde Gefühle zu haben, alles scheiße und dann wieder saugeil zu finden, Menschen – und vor allem Eltern, Geschwister und Lehrpersonen – andauernd zu hassen oder wieder zu akzeptieren und sich manchmal selber zum Kotzen oder hässlich zu finden und dann ganz viele Ablenkungsstrategien zu suchen, damit das keiner merkt. Manchmal wird man vor lauter Unsicherheit ein Arschloch und macht dann polternd darauf aufmerksam, welche anderen Menschen schwach, hässlich oder scheiße sind. Oder man fühlt sich ALLmächtig, total OHNmächtig – oder beides gleichzeitig. Es ist eine Zeit, in der man herausfinden muss, wo man hingehört, wo man hin möchte und wo man wirklich gar nicht sein will – aber irgendwie doch sein MUSS. Man ist halt kein Kind mehr, aber erwachsen ist man auch nicht.

Na toll – was für eine Scheiße. Oder? Denn, wenn ich so richtig drüber nachdenke – ich fand meine Teenagerzeit eigentlich ganz geil. Sie war sauspannend und verrückt. Ich war voller Gefühle - zwar andauernd anderen, aber ich hatte Energie, Ideen und Träume.  

Und daher wünschte ich mir erst kürzlich vom Universum meine „Teenagerinnnen-Leichtigkeit“ zurück. Wurde mir schnell erfüllt, war aber mal wieder ein schlecht formulierter Scheißwunsch, denn – leider hatte ich vergessen, dass diese "Leichtigkeit" viele Jahre von einer üblen Knieverletzung begleitet wurde und so fühle ich mich momentan wieder wie mit 15 nach meinem Basketballunfall mit Kreuzbandriss. Denn beim Tanzkurs im momentverliebten Sprung mit Dirty Dancing Feeling knickte mein operiertes Knie einfach scheppernd weg und ich darf mit meiner Meniskusquetschung nun Ruhe üben und in Teenagergedanken schwelgen. Danke, Universum.



LEBENSLEKTIONEN VON "KARATE KID" & "COBRA KAI"

 

Gerade entdeckte ich neu bei NETFLIX die 80s Oldschool Karate Kid Filme und schaute sie nun voller Begeisterung mit 40 das erste Mal an, denn neben anderen Dingen zeigen sie in aller Deutlichkeit, dass man mit Disziplin und Durchhaltevermögen wirklich ALLES schaffen kann, das man sich in den Kopf gesetzt hat und Sensei Mr. Myagi mit seiner Menschlichkeit und den knappen, punktgenauen Weisheiten ist einfach der Burner.

Mit meinem Teenagerknie ans Bett gefesselt, versank ich anschließend in der Serie Cobra Kai, die mit denselben Darstellern zur heutigen Zeit, also locker 30 Jahre später, spielt. Dieser Sprung in die Zukunft, der zeigt, was aus den Helden und Antihelden der Kultfilme geworden ist, machte mich sehr nachdenklich. Es geht um übles Mobbing, krasse Gruppendynamiken und wie sehr das alles ein elementarer und akzeptierter Bestandteil der amerikanischen Gesellschaft ist. Und was diese gruselige Ellenbogenmentalität kombiniert mit einer schlechten Schulbildung – was sich in Deutschland beides auch bereits an vielen Stellen zeigt - für Auswirkungen hat, sieht man momentan deutlich in den USA, die mit einem veralteten unklaren Wahlsystem vor knapp 4 Jahren einen rücksichtlosen und hochgradig Kriminellen als ihr Oberhaupt wählten.

 

 

 

Die Karate Kid Neuzeit-Fortsetzung handelt von Lebensentscheidungen, Lebensgewinnern und - verlierern und wie schnell Menschen ohne inneren Halt zu riesigen Arschlöchern werden, die - sogar, wenn sie es mal gut meinen und sich bessern wollen - nicht erkennen können, wenn sie es selbst mit Arschlöchern zu tun haben. Verlierer Johnny, der Bösewicht aus Teil 1 und laut Barney Stinson "the REAL karate kid" ist nämlich eigentlich gar nicht so verkehrt, er hat nur leider einfach keinen Peil, WIE man ein gutes Vorbild ist. Und selbst „Daniel-San“ LaRusso, Sieger der Filme und nun augenscheinlich ein echter Gewinnertyp, kriegt so manches im Leben trotzdem nicht geregelt, weil er einige Egoverletzungen auch als erwachsener Mann nicht verarbeitet hat.  

Beiden Kontrahenten fehlten die Väter und ihre Senseis dienten als Ersatz – Johnny hatte da leider ein etwas schlechteres Händchen. Wie sich beide Männer nun als Väter und Vorbilder schlagen – auch in Bezug auf Frauenbilder - und was das für Folgen hat, zeigt nun die Serie. Es geht um Vaterfiguren, absente Eltern, beschränkte Horizonte und wie wichtig die Prägung der Menschen, von denen wir abstammen, für uns ist. Und dass es nicht bloß schwarz und weiß gibt und manche Entwicklungen ab einem gewissen Punkt nicht mehr zu kontrollieren und Eskalationen nicht verhinderbar sind. Wie dringend wir Vorbilder und Orientierung brauchen und wie schwer es wird, diese selbst zu geben, wenn wir die Richtung nicht kennen. Wie schmal der Grad zwischen All- und Ohnmacht ist und wie schnell Opfer zu Tätern werden können. Und wie groß der Einfluss von dem, was in der Schule abläuft, auf alles ist. Bzw. wie lachhaft unwesentlich.

Ich erkenne an sowas immer, dass gute Lerninhalte so viel verändern können und wie wichtig es ist, Menschen den RICHTIGEN HALT auf ihre Wege mitzugeben, damit sie sich nicht an Alternativen klammern müssen, in Corona Zeiten Angststörungen entwickeln oder zu ignoranten Arschlöchern werden. Dass man seine inneren Schmerzen heilen muss, um nicht andauernd hilflos seinem eigenen Egofilm ausgeliefert zu sein und noch als Erwachsener permanent im Kindheitstrauma festzustecken.

 

Schule könnte bei all dem helfen... aber dafür müsste wirklich EINIGES verändert werden! Denn, wie schon Mr. Myagi wusste: "Es gibt keine schlechten Schüler - nur schlechte Lehrer!"

 

Photo by Goutham Ganesh Sivanandam on Unsplash.com
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Picture by Ilayza Macayan on Unsplash.com
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"NO ONE KNOWS FOR SURE HOW MUCH IMPACT THEY HAVE ON THE LIVES OF OTHER PEOPLE." HANNAH BAKER


LERNEN MIT "13 REASONS WHY"

 

Auch die NETFLIX Serien Tote Mädchen lügen nicht (13 reasons why im Original) und Sex Education sollten dringend zu einem pädagogischen Pflichtprogramm werden – auch, weil diese Serien unter Teenies einfach ein Hit sind. Und versteht man nicht, was sie bewegt, kann man ihnen gar nicht auf Augenhöhe begegnen.

Trotz gewisser Hollywood Klischées hat mir 13 reasons why stark geholfen, in Teenagerseelen und ihre alltäglichen Überlebenskämpfe zu schauen.

Im ersten Teil geht es um den Suizid von Hannah Baker, die vor ihrem Tod für alle 13 Personen, die aus verschiedenen Gründen an ihrem Tod mitverantwortlich sind, ein Tape aufgenommen hat und ihnen diese nun postmortem durch einen eingeweihten Freund zuspielen lässt. Hannah wurde gemobbt, missbraucht, missachtet, nicht gestützt und sah den Tod als einzigen Ausweg. Die weiteren Staffeln zeigen, wie sich Hannahs Tod auf die Leben aller Beteiligten auswirkt. 

Die Serie ist sehr intensiv und macht betroffen. Es geht um sexuellen Missbrauch, Gewalthandlungen, Mobbing und Depressionen. Und Eltern, die bereits jeglichen Zugang zu ihren Kindern verloren und Lehrer, die keinen Blick für ihre Schüler:innen haben. Man sieht, wie Schüler auf dem Schulklo missbraucht werden, sie sich dann nach Hause schleppen, um dann von ihren nichtsahnenden Eltern nur mit „How was school?“ – „Good!“ begrüßt zu werden. 

 

Insbesondere in der ersten Staffel sind die Erwachsenen fast abwesend, schauen nicht hin, nehmen sich keine Zeit, lassen sich ohne Probleme wegstoßen und haken nicht weiter nach, weil sie so sehr in ihren eigenen Alltagsproblemen versunken sind. 13 reasons why ist ein sehr düsteres und doch erschreckend realitätsgetreues Abbild unserer Gesellschaft, die sich nicht mehr wirklich mit den echten Menschen, sondern insbesondere mit einem äußeren Bild und oberflächlichen Statussymbolen beschäftigt. Und zeigt, wie unfassbar schmerzhaft es ist, wenn man viel zu spät die eigenen Fehler erkennt – dabei hätte man mit ein bisschen mehr Aufmerksamkeit und Menschlichkeit schon an kleinen Gelenkstellen einen riesigen Unterschied machen und Hannahs Selbstmord verhindern können. Nun kann Hannahs Tod vor allem eins: als bittersüße Lehre dienen!

 

Mir haben diese 4 Staffeln ein stimmiges Bild von Schule, was wirklich wichtig ist und welche Auswirkungen Verhalten haben kann, vermittelt. Ich habe gelernt, wie wichtig es ist – auch im schulischen Kontext – hinzuschauen und nachzufragen, dranzubleiben und sich nicht wegstoßen zu lassen. Wie dringend notwendig es ist, Täter in ihre Grenzen zu weisen und Schwächere zu schützen und wie unglaublich ernst man die eigene Erziehungspflicht nehmen sollte und ein „Die ist gerade so schwierig!“ oder „Der will nicht mit mir reden!“ keine legitimen Ausreden sind. Manchmal muss man sich halt durch Widerstände und Abwehr kämpfen. Kinder und Jugendliche brauchen mutige und klare Erwachsene, die ihnen zeigen, dass sie nicht alleine sind und nicht aufgegeben werden - egal, wie "schwierig" sie gerade sind. Denn bitte erinnere dich daran - Teenager-Sein ist wirklich anstrengend - und auch, wenn man als Erwachsener weiß, dass Gefühle "nur" temporär sind, so kann es sich im Teenage-Gefühls-Wirrwarr wie ein niemals endendes Dilemma anfühlen, dass man ggf. probiert mit drastischen Maßnahmen zu beenden.  

13 reasons why liefert außerdem Hilfsseiten im Internet und einige Zusatzvideos, die sich mit den Thematiken auseinandersetzen und für Familien Redeanlässe schaffen. Also – alles in allem eine wichtige Serie mit sehr wichtigen Themen!

 

Picture by Dan Meyers on Unsplash.com
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MAKE EDUCATION SEXY AGAIN

 

Sex Education ist einfach nur herrlich schrill und zeigt offen und ehrlich, wie das Thema Sex junge Menschen bewegt und begleitet. Es geht um sehr peinliche Eltern, verklemmte Erwachsene und verkrampfte Lehrer, die mit der Sexbegeisterung der Jugendlichen überfordert sind, weil sie ihre eigenen Bedürfnisse und Gefühle nicht ausleben.  

Sex Education handelt von Toleranz und dass man das, was man hat, einfach geil rocken sollte – egal, ob man Probleme mit der sexuellen Entwicklung hat, nicht weiß, wie man masturbiert oder herausfindet, dass man schwul, lesbisch oder bisexuell ist - denn das ist alles okay und vor allem - total normal! Dass man sich unterstützt und solidarisiert, wenn man schlecht behandelt wird und sich gegen Ungerechtigkeit einsetzt und dass Jugendliche und Erwachsene geile Teams bilden, wenn sie einander vertrauen können.  (Lies hierzu auch meinen Artikel über Übergriffigkeit)

Beim Thema Sex ist es so wichtig, als Erwachsener entsprechend offen zu sein und zu bleiben um Heranwachsenden unaufdringlich als gutes Vorbild zur Seite zu stehen, wenn sie beginnen, sich mit ihrer eigenen Sexualität zu beschäftigen. Sex ist und bleibt ein wichtiges Fundament für unser Mensch-Sein und es sollte natürlich sein, dass man sich damit sicher und entspannt ohne Stigmatisierung beschäftigt und Grenzen absteckt und akzeptiert. Und mit Jugendlichen in einem sicheren Umfeld über Masturbation, Sex, Vibratoren, Vaginas, Pimmel und Kompensationsmechanismen zu sprechen. Sex und ein gesundes Verhältnis zum eigenen Körper sind sooooo wichtig für ein gesundes Leben – aber das haben ja auch viele Erwachsene nicht. Und die wenigen Einheiten zur Sexualkunde in der Schule sind im Grunde ein Witz. Sexualkunde müsste ein Dauerthema sein, damit junge Menschen verstehen, was Sex kann und eben nicht kann. Und dass man sich nicht verbiegen muss, um geliebt zu werden und wo man sich Hilfe holen kann, wenn man mal eine "sex education" braucht. Also - mach dich bitte ganz locker und check besser deine Orange, because every orange is different ;-) 

 

Picture by Taras Chernus on Unsplash.com
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Ob du Pädagog:in bist oder nicht – vergiss bitte niemals, wie es ist, Teenager zu sein: verrückt, herausfordernd, geil, scheiße. Und meistens alles auf einmal. In all diesem Irrsinn brauchen Jugendliche dringend ganz viele Mr und Mrs Myagis! 

Teenagers rule!


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Kommentare: 2
  • #2

    p6majo (Freitag, 10 Januar 2020 20:46)

    Hallo Annika,

    ich lese Deine Soulkanguruh-Sprünge sehr gern. Oft dreht es sich ja um das Thema Liebe. Deshalb würde ich an dieser Stelle gern eine provokante These in den Raum stellen. Ich bin kein Philosoph und habe auch keinen fundierten Hintergrund für meine These. Es sind einfach nur Gedanken und Du kannst den Kommentar jederzeit wieder entfernen (hoffe ich).

    Was ist Liebe?
    Kurz: Es gibt zwei Säulen der Liebe, alles darüber hinaus ist eine gesellschaftliche, moralische und romantische Überhöhung bzw. Glorifizierung.

    1. Säule: Die sexuelle Anziehung zwischen zwei Menschen, getriggert durch Schemata, biochemische Botenstoffe und eventuell Verhaltensmuster, die es uns ermöglichen sollen, einen möglichst geeigneten Paarungspartner zu finden.
    2. Säule: "kin selection" --- kurz: das durch Evolution selektierte Verhaltensmuster, sich um Kinder und nahe Verwandte bis hin zu Selbstaufgabe zu kümmern und zu sorgen.

    Beide Säulen sind bei den meisten Tierarten auf der Welt zu finden und meiner Meinung nach die Essenz von all dem, was wir als Liebe bezeichnen. Alles andere ist der Versuch, uns Menschen zu etwas Besonderem zu machen (was wir meiner Meinung nach aber nicht sind), oder aber ein moralischer Überbau oder netter formuliert, allgemein akzeptierte Wertvorstellungen, um unser Handeln in gesellschaftlich-konforme Bahnen zu lenken. Allerdings sind diese Wertvorstellungen nicht immer mit den Säulen 1. und 2. vereinbar, was die Ursache für das meiste "Liebesleid" auf dieser Welt sein könnte.

  • #1

    Teale (Sonntag, 22 September 2019 02:53)

    You're a legend Annika. Love your words and the pictures used.